BUND-Kreisgruppe Essen

Zehn Fragen an: Claudia Baitinger

Claudia Baitinger / Immissionschutzexpertin Tätigkeiten u.a.: - Bundesarbeitskreis Immissionsschutz - Sprecherin des Landesarbeitskreises Abfall / Technischer Umweltschutz bis 2017  (Martin Kaiser)

1. BUND / Kreisgruppe Essen: Liebe Claudia, Du bist ein Urgestein der Umweltbewegung in NRW und warst lange Zeit Sprecherin des Arbeitskreises Technischer Umweltschutz des BUND-NRW. Wie lange bist Du schon aktiv und was sind Deine Schwerpunkte?

Ich bin seit Anfang der 80er Jahre im Natur- und Umweltschutz aktiv. !987 bin ich in den BUND eingetreten und war rund 30 J. Sprecherin der Kreisgruppe Recklinghausen. In 2006 habe ich für den Verband die Einwendung gegen den Bau des EON-Kohlekraftwerksblockes 4 in Datteln und 2007 die gegen die Errichtung des Trianel-Kohlekraftwerk in Lünen eingereicht und damit dem BUND den steinigen Weg zu beiden Verbandsklagen eröffnet –  mit bekannten Ergebnissen: Für beide Anlagen gibt es bislang keine rechtskräftigen Genehmigungen. Die Trianelklage hat über ihren Weg beim EuGH in 2011 sogar deutsche Rechtsgeschichte mit weitreichenden Folgen geschrieben, wodurch die Umweltverbände ein umfänglicheres Klagerecht auf der Grundlage der völkerrechtsverbindlichen Aarhus-Konvention erlangten. Wer sich mit solch großen Projekten auseinandersetzt, kommt unweigerlich nicht daran vorbei, sich intensiv mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz und anderen Umweltgesetzen zu befassen. Wochenlange Erörterungstermine und über Jahre tagelang sich hinziehende Gerichtsverhandlungen waren für mich exzellente Lehrstücke in fachlicher und juristischer Hinsicht! In all den Jahren hatte ich zusammen mit Mitstreitern Gelegenheit, besonders im Abfallbereich deutschlandweit den Widerstand gegen das ausgeprägte Pyromanentum deutscher Politiker und Behörden zu unterstützen – ich erinnere nur an das milliardenschwere Thermoselect-Desaster oder unseren weitgehend erfolgreichen Kampf gegen sogenannte Biomasseheizkraftwerke Trittinscher billigster „Bauartzulassung“.

2. BUND/ KGE: Du unterstützt die Kreisgruppe Essen als Expertin in Bezug auf die Wiederinbetriebnahme der Müllverbrennungsanlage im Essener Stadthafen. Hast Du oft mit solch kritischen Projekten zu tun ?

Ja, wenn man mir Gelegenheit dazu gibt und die BUND-Gruppen vor Ort hinreichend sensibel für das Thema sind. Das Fatale ist, dass die Lobbyisten der Abfallindustrie es manchmal gut verstehen, ihre Verbrennungsanlage als für den Klima- und Umweltschutz zwingend notwendig und gemeinwohlverträglich darzustellen, z.B.: Die Abluft aus dem Schornstein einer MVA ist sauberer als die Umgebungsluft – oder: Wenn wir nicht den Giftmüll aus Bhopal bei uns verbrennen, vergiftet er in Indien weiterhin die Anwohner oder wird mit weitaus niedrigeren Standards dort verbrannt (Aussage der GIZ 2012).

3. BUND/KGE: Warum will der zukünftige Betreiber Deiner Meinung nach ausgerechnet in einem so dicht besiedelten Gebiet, das zudem noch einem Luftreinhalteplan unterliegt Abfälle verbrennen ?

Ich glaube nicht, dass es die Antragsteller stört, mitten in der „grünen Hauptstadt Europas“ und in einem Gebiet, das den Restriktionen des Luftreinhalteplans unterworfen ist, eine Müllverbrennung zu errichten. Ich hoffe jedoch, dass das vielmehr die Bürger*innen dieser Stadt gehörig stört, so dass sie das Vorhaben verhindern werden. Wenn sich der Rat im Rahmen des Genehmigungsverfahrens gemäß § 36 BauGB als Vertreter der Standortgemeinde gegen die Planung ausspricht, weil er sie als nicht als mit den Zielen der städtebaulichen Entwicklung in Übereinklang sieht und das auch hinreichend begründet, wäre die Planung gestorben.

4. BUND/ KGE: Trotzdem müssen wir unsere Abfälle ja entsorgen. Ist die thermische Verwertung dann nicht ein geeignetes Mittel ?

Zuerst einmal müssen nicht wir hier „unsere Abfälle entsorgen“! Dafür gibt es laut Abfallwirtschaftsplan NRW genügend Verbrennungskapazitäten, sogar derzeit immer noch Überkapazitäten, die zu Müllimporten führen.

Wir als Bürger*innen und als Mitglieder eines Umweltverbandes müssen in erster Linie mit allen nur erdenklichen Mitteln Abfälle vermeiden und helfen zu vermeiden, so wie das im Kreislaufwirtschaftsgesetz vorgeschrieben ist. Damit kein Missverständnis aufkommt: Im Essener Hafen soll keine MVA für kommunale Abfälle entstehen, sondern – vermutlich aufgrund der Standortgunst –  ausschließlich für zum Teil sogar gefährliche Industrieabfälle von nah und fern.

Von „Thermischer Verwertung“ zu sprechen, überlassen wir gerne der Müllverbrennungslobby, wir vom BUND nennen das schlicht Beseitigung. Dass dabei die Abwärme genutzt wird, ist eine Selbstverständlichkeit schlechthin, aber kein Rechtfertigungsgrund für den Benefit einer Abfallverbrennungsanlage. Es wird immer wieder vergessen, dass die Energie, die zur Gewinnung der Rohstoffe, ihrem Transport und ihrer Verarbeitung aufgewandt wurde, nur bei einer stofflichen Verwertung, wie wir sie alternativlos fordern, genutzt  werden kann – bei einer Verbrennung lässt sich lediglich die freiwerdende Wärme mehr oder weniger sinnvoll auffangen und verwerten. In unserer BUND-Position haben wir den Unterschied zwischen stofflicher Verwertung und Beseitigung durch Verbrennen verdeutlicht (mit Klick auf das Bild öffnet sich die pdf)

mit einem Klick zur pdf

5. BUND/ KGE: Aber auch giftige Stoffe werden doch bei der Rauchgasreinigung wieder herausgefiltert, bevor das dann durch den Schornstein geht, oder?

Ob ein Stoff giftig ist oder nicht, entscheidet in erster Linie die Dosis und die Art und Weise, wie der Stoff in den menschlichen Körper gelangt. Dabei spielen in langwierigen Prozessen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten politisch ausgehandelte Grenzwerte und Konventionen für die Genehmigungsfähigkeit (auch) einer Rauchgasreinigung die entscheidende Rolle. Wir vom BUND fordern Vorsorgewerte, die sich nicht in der 17. BImSchV und in der TA Luft niedergeschlagen haben. Wir halten Grenzwert-Diskussionen nicht für zielführend, sie besitzen Alibifunktionen und verhindern umweltangepasstere Lösungen. Außerdem ist der zugrunde gelegte 70-kg-Mann-Standard – auf Versuchsrattenbasis ermittelt - nicht dazu angetan, vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Kranke, Alte, Kleinkinder und Allergiker hinreichend zu schützen.

Keiner gesetzlichen Regelung unterliegen bislang nanoskalige Stäube, die bei hohen Verbrennungstemperaturen, wie sie Abfallverbrennungsöfen aufweisen (müssen), unweigerlich entstehen. Bei der  sogenannten trockenen Rauchgasreinigung, wie sie bei Harmuth/Lobbe vorgesehen ist,  gibt es keine Institution, die diese Nanopartikel effektiv zurückhalten. Je kleiner sie auf Grund sehr hoher Temperaturen sind und je mehr davon freigesetzt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie inhaliert werden. Über die Lungenbläschen gelangen sie ins Blut und können aufgrund ihrer Beschaffenheit bis hin in die Zellkerne eindringen, das genetische Material dort verändern und somit erbgutverändern resp. cancerogen wirken.

6. BUND/ KGE: Die meisten Betreiber sagen ja, wenn die gesetzlichen Vorgaben  der 17. BImSchV eingehalten werden ist alles gut. Stimmt das ?

Hier möchte ich meine Antwort zu Frage 5 ergänzen:

Für wen wäre dann „alles gut“? Doch offenbar nur für den Betreiber, oder?

Wer fragt eigentlich die Anwohner an den Standorten, an denen die gefährlichen Filterstäube aus den Rauchgasreinigungen der „umweltfreundlichen“ MVAs als Bergversatz billig „entsorgt“ werden, nachdem man sie nicht mehr in die aufgegebenen Bergwerke des Ruhrcarbons verklappen kann? Hat jemand mal Kontakt z.B. mit den Bürgerinitiativen rund um Halle aufgenommen, die seit der Wende einen unaufhörlichen Kampf gegen die Untertageverbringung dieses höchst gefährlichen Abfalls führen und die sich gegen die aus alten Schächten aufsteigenden stinkenden, giftigen Dämpfe infolge untertägiger unkontrollierbarer chemischer Reaktionen mit Klagen wehren müssen? Kennt jemand die „Kundenliste“ der GTS mit den Adressen zahlreicher NRW-MVAs – erst wenn ein Gefahrgut-Silozug bei diesen unaufhörlichen Ferntransporten havariert und sich die Feuerwehr in Vollschutzanzügen um das Desaster kümmern muss, gelangt manchmal etwas von diesem Giftmülltourismus in die lokale Presse …

Merke: Je „sauberer“ eine MVA arbeitet und damit die Anforderungen der 17. BImschV unterbietet, desto mehr „Bergversatz“ und giftige Schlämme produziert sie – diese Form der Externalisierung von Umweltgefahren kann nicht in unserem Sinne sein.

7. BUND/ KGE: Heißt das, dass die bestverfügbare Technik gar nicht eingesetzt wird ? Gibt es dazu nicht eine gesetzliche Verpflichtung?

Da die Harmuth-Anlage, so sie denn nicht zu verhindern ist, unter die IED-RL (IED-RL = Industrieemissionsrichtlinie,  engl:  Industrial Emissions Directive, kurz IED genannt, ist eine EU-Richtlinie mit Regelungen zur Genehmigung, von Industrieanlagen (Die Redaktion)) fallen wird, muss sie selbstverständlich alle Anforderungen – dazu zählt auch die Beachtung der „Besten Verfügbaren Technik“ (BVT) dieser ins deutsche Recht übernommenen EU-Richtlinie einhalten, sonst würden die Genehmigungsbehörden gegen Recht und Gesetz verstoßen!

8. BUND/ KGE: Wo stehen wir denn zur Zeit im gesetzlichen Verfahren der Wiederinbetriebnahme?

Historisches: Am 19.12.2007 erwirkte die Fa. Harmuth, Mülheim am jetzigen Standort eine Genehmigung zur wesentlichen Änderung des Recyclingzentrums durch Errichtung und Betrieb einer Abfallverbrennungsanlage. Es wurden für die Verbrennung in einem Wirbelschichtofen rund 26 500 t/a Abfälle, die unter insgesamt 6 Abfallschlüssel fallen, genehmigt: 19 12 01, 19 12 04, 19 12 07, 19 12 08, 19 12 10 und 19 12 12, also Papier und Pappe, Holz, Textilien, Gummi, Kunststoffe (!) und BRAM (Brennstoff aus Müll).

Am 26.8.2014 wurde die Anlage stillgelegt. Um dem endgültigen Aus durch Erlöschen der Genehmigung zu entgehen, beantragte die Fa. Harmuth im Sommer 2018 erfolgreich eine neuerliche Fristverlängerung bei der Bezirksregierung Düsseldorf. Damit sollte versucht werden, die alte Genehmigung lediglich „aufzuhübschen“ – dem ist die Behörde allerdings nicht gefolgt.

Aktuelles: Zusammen mit der Fa. Lobbe, Iserlohn, plant Harmuth nunmehr, die stillgelegte Abfallverbrennungsanlage wieder in Betrieb zu nehmen und sie mit einer höheren Kapazität und einem um zahlreiche gefährliche Abfälle erweiterten und um rund 60 Abfallschlüsselnummern bereichertes Abfallartenspektrum in ein neues Genehmigungsverfahren zu gehen („Neugenehmigung einer Bestandsanlage“). Dazu fand im Vorfeld des förmlichen immissionsschutzrechtlichen Verfahrens am 3.7.18 ein Scoping-Termin zur Festlegung der UVP-Anforderungen statt. Dazu waren auch Vertreter*innen der Umweltverbände eingeladen.

Wann es zur Bekanntgabe des Genehmigungsverfahrens und damit zur öffentlichen Auslegung der Genehmigungsunterlagen kommt, ist uns nicht bekannt. Wir werden versuchen, über diese Seite zu informieren.

9. BUND/ KGE: Müssen wir Essener Bürger*innen denn das so hinnehmen ? Was können wir tun, wenn wir doch offensichtlich sehr gute Argumente haben, um eine solche Anlage zu verhindern, bzw. nur nach der bestverfügbaren Technik betreiben lassen wollen?

Nach dem bislang von mir Dargestellten dürfte sich hoffentlich diese „Alternativenprüfung“ erübrigen: Anlagen sind stets nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu errichten und zu betreiben, das wird durch die Beachtung des BVT-Merkblattes sichergestellt.

Mittels Umweltinspektionen sind die Betreiberpflichten in festgelegten Abständen zu überprüfen und zu veröffentlichen. Was die Harmuth-Abfallbehandlungsanlagen in Essen und Mülheim in diesem Zusammenhang angeht, kommen uns allerdings Zweifel an der „Zuverlässigkeit des Betreibers“, der nun eine große Verbrennungsanlage für gefährliche Abfälle mitten in der Stadt errichten möchte.

Schaut man sich nämlich die 3 im Netz stehenden Umweltinspektionsberichte der „Harmuth Entsorgung GmbH an den Standorten Essen und Mülheim an, so entdeckt man zahlreiche, von der Behörde festgestellte „erhebliche“ Mängel, deren Behebung zudem auch nach Jahren nicht erfolgte – Verfügungen hin oder her!

10. BUND/ KGE: Was würdest Du den betroffenen Bürger*innen denn raten, wenn Sie solch eine gefährliche Anlage verhindern wollen?

Auf kommunaler Ebene lässt sich eine Menge bewirken. In der Gemeindeordnung NRW gibt es unter den Paragrafen 23 – 26 verschiedene Instrumente, mit denen sich Bürgerinnen und Bürger Gehör schaffen können – dieses Instrumentarium ist allen dringend ans Herz zu legen.

Ferner müssen Rats- und Ausschussmitglieder persönlich informiert und aufgefordert werden, sich deutlich zu positionieren. Im Hinblick auf die Kommunalwahl im Herbst 2020 sollte sich kein Ratsmitglied mehr in eine Kneipe trauen, ohne die „Gretchenfrage“ fürchten zu müssen. Auch Leserbriefe sind ein probates Mittel zur „Willensbildung“.

Weniger zielführend sind die von uns als Feigenblatt- und Alibiinstrumente angesehenen sogenannten Petitionen von Daten- und Spendensammelfirmen wie change.org, avaaz usw. Mögliche Spendengelder sollten der BUND-Kreisgruppe Essen zugehen und nicht in Maryland/USA versanden.

 

Liebe Claudia, wir danken Dir für Deine Zeit und die vielen informativen Antworten.

Die Fragen für die Kreisgruppe Essen stellte Martin Kaiser