BUND-Kreisgruppe Essen

Interview mit Andreas Müller

Wie bist Du zum Engagement beim BUND gekommen? Gab es einen konkreten Anstoß oder ist das eine längere Entwicklung gewesen? Und wo bist du derzeit aktiv?

Das ist jetzt schon so lange her, dass ich mich gar nicht mehr konkret erinnern kann. Ich glaube das war in den 1990ern als ich aufhörte, Kommunalpolitik zu machen (ich war von 1984 bis 1996 sieben Jahre als Ratsmitglied und fünf Jahre als sachkundiger Bürger im Velberter Stadtrat). Ein Anstoß war, dass ich mich parteiübergreifend für Umweltschutz engagieren wollte. Im Moment bin ich als Vertreter der Naturschutzverbände in einem Gremium des DIN aktiv. Dort geht es um Nanotechnologie und Nanomaterialien. Man mag ja meinen, dass Normungsarbeit trocken und langweilig ist. Man muss aber berücksichtigen, dass sich viele Umweltgesetze auf private Normen stützen (man denke nur an die Dieselmessungen). Hier auch die Sicht der Umweltverbände einzubringen, ist also nicht unwichtig.

Du schreibst uns eine neue Reihe mit Buch-Rezensionen zu einem für Umweltschützer noch nicht alltäglichen Themenfeld, dem Zusammenhang von Wirtschaftstheorie und Umweltschutz. Wie kommt ein promovierter Chemiker zur Ökonomie?

Zum einen habe ich während meiner Zeit als Doktorand „nebenbei“ Politikwissenschaften studiert (allerdings ohne Abschluss). Und auch in meiner kommunalpolitischen Zeit spielten wirtschaftliche Fragen eine große Rolle. Nach der Promotion habe ich mich (im Umweltschutz) selbständig gemacht und wollte mich aber – als angehender Unternehmer – im Bereich Wirtschaft weiterbilden. Also habe ich mich für ein Zusatzstudium „Wirtschaftswissenschaften für Naturwissenschaftler und Ingenieure“ an der Fern-Uni Hagen eingeschrieben. Während mir BWL und Jura sehr eingängig waren, kamen mir die volkswirtschaftlichen Modelle und Denkweisen irgendwie „komisch“ vor. Zwar wurde häufig auf Mathematik zurückgegriffen, aber mir erschien das nicht angemessen. In meiner Dissertation habe ich ein quantentheoretisches Thema bearbeitet. Das war mit ziemlich viel Mathe verbunden (mein Doktorvater war übrigens Mathematiker und eine meiner Aufgaben als Assi war es, die „Jungstudis“ der Chemie in den ersten beiden Semestern mit Mathe zu quälen). Langer Rede kurzer Sinn: Was wir an Mathe zur Beschreibung einfacher Moleküle verwendet haben, war wesentlich komplexer als die Modelle, mit denen die VWLer menschliches Verhalten modellieren wollen (und Wirtschaft ist nunmal zu 100 Prozent menschliches Verhalten).

Später habe ich dann verschiedene Lehrtätigkeiten ausgeübt, wo es darum ging , „Fachfremden“, z. B. angehenden Betriebswirt*innen und Wirtschaftsingenieur*innen etwas über Ökologie und Umweltschutz zu vermitteln. Und da sich diese Kurse in einem ökonomischen Kontext bewegten, schloss sich hier der Kreis. Mir wurde klar, dass ich den ökonomischen Hintergrund meiner Studierenden verstehen musste. Und dann kam die Finanzkrise von 2008, die die „herrschende Lehre“ der Wirtschaftswissenschaften mal wieder nicht vorausgesehen hatte und ich begann, ein paar kritische Bücher dazu zu lesen. Und das hat mich nicht mehr losgelassen.

Kommt die Ökologie bei den zukünftigen Wirtschaftsingenieur*innen an?

Absolut. Ich halte meinen Kurs im sechsten Semester, also am Ende des dualen Bachelor-Studiums. Man merkt da schon, dass die Studierenden ein bisschen müde sind und manche schon mental mit der Uni abgeschlossen haben. Aber da ich meinen Kurs – wie ich denke – sehr diskussionsfreudig organisiert habe, gibt es immer wieder heiße Gespräche. Da ich in einem dualen Studiengang lehre, haben alle Studierenden auch schon ein paar Jahre Berufserfahrung in der Industrie. Besonders spannend wird es immer dann, wenn die von mir wissenschaftlich begründeten ökologischen Forderungen mit der betrieblichen Realität der Studis kollidieren. Z. B. beim Thema „Plastikmüll“, wenn Studierende aus der Kunststoffindustrie im Kurs sind. Aber auch die Dynamik zwischen den Studierenden ist faszinierend. Man merkt dann sehr deutlich, dass der Grad des Umweltbewusstseins eng mit dem Grad der beruflichen Betroffenheit zusammenhängt und da meist entgegengesetzt verläuft. Oft kommen wir ja an den Punkt, wo wir über Geld reden, also den Einfluss von Umweltschutz auf die Ertragslage von Unternehmen. Hier hilft mir mein mittlerweile doch recht solider ökonomischer Background, in den Diskussionen zu bestehen. Und da die Studierenden natürlich alle nur die „mainstream“-Ökonomie kennengelernt haben, sind sie immer total verblüfft, wenn ich ihnen einen Vortrag von Kate Raworth (Donut-Ökonomie) als Video zeige. Und ich betreue natürlich auch Studien- und Bachelorarbeiten, z. B. zur Gemeinwohl-Ökonomie oder zur ökologischen Produktentwicklung. Und da lerne ich selbst auch noch wahnsinnig viel. Und es ist meist total super, welche Umsetzungsideen die Studierenden entwickeln.

Wenn ich diese ganze Situation als Umweltschützer reflektiere, komme ich zu dem Schluss, dass wir Ökolog*innen eigentlich keine weiteren ökologischen Argumente mehr brauchen. Alle Fakten sind schon seit mindestens 30 Jahren auf dem Tisch, ob es jetzt um Klimawandel, Artensterben oder Müllberge geht. Dagegen kann auch kein vernünftiger Mensch argumentieren. Was wir aber brauchen, ist eine Idee, wie eine Wirtschaft ohne permanentes Wachstum, ohne Treibhausgasemissionen, ohne Artenvernichtung und ohne Vermüllung der Welt so funktionieren kann, dass trotzdem alle Menschen Nahrung, Wohnung, Gesundheit etc. haben. Und das sind soziale und ökonomische Fragen, keine ökologischen!

Du bist mit deinem Büro seit Jahren im Zusammenhang mit Fließgewässern „angewandt wissenschaftlich“ unterwegs, wie zahlreiche Veröffentlichungen belegen. Obwohl ihr und andere anwendungsorientiert arbeitet, sehen wir - nicht nur in Essen - kaum umgesetzte Renaturierungen, sondern immer nur neue Regelwerke und die bereitstehenden Finanzmittel werden nicht abgerufen. Woran liegt die Kluft zwischen Theorie bzw. gesetzlichem Anspruch auf der einen, der Wirklichkeit am Bach auf der anderen Seite? Was wäre zu tun?

Wir arbeiten ja nicht nur im Bereich „Fließgewässer“, sondern auch in anderen Umweltbereichen. Und letztlich ist es überall das Gleiche. Auf dem Papier stehen wir in Deutschland immer gut da. Das Problem ist in allen Bereichen der Vollzug. Ich bin mir nicht sicher, ob der im Bereich Fließgewässer schlechter ist als in anderen Bereichen, z. B. in der Abfallwirtschaft oder dem Immissionsschutz. Aber ich denke, wir Ökolog*innen haben alle zu hohe Erwartungen in die WRRL gesetzt, da ja „bis 2015 überall – bis auf ein paar Ausnahmen – der gute Zustand erreicht sein sollte“. Auf der anderen Seite steht das „Freiwilligkeitsprinzip“, wonach die Kommunen (die ja meist zuständig sind), nur das tun müssen, was sie bereit sind zu tun. Das ist ja seit 2006 auch im Grundgesetz verankert. Hier hat sich der Staat einen schlanken Fuß gemacht, denn sonst hätte er ja – soweit ich das als Nicht-Jurist sehe – die Kommunen nach dem Konnexitätsprizip angemessen finanziell ausstatten müssen. So kann er heute sagen, ich würde ja die Kommunen fördern, aber die müssen einen Eigenanteil aufbringen (zu dem sie oft nicht bereit sind) und wenn sie das nicht tun…

Ich denke, hier ist insgesamt mehr Ehrlichkeit gefordert. Wir sollten daher einerseits die Verantwortlichen darauf „festnageln“, dass sie erklären, welche konkreten Schritte sie bis wann zur Zielerreichung gehen wollen und das müssen wir dann immer wieder öffentlich anprangern – genauso „penetrant“ wie das die DUH im Bereich Luftverschmutzung tut. Und das ist ja auch kaum angreifbar, denn letztlich fordern wir ja nur, dass sich der Staat an seine eigenen Gesetze hält! Andererseits müssen wir uns aber auch einmal realistisch fragen, wie in einem so dicht besiedelten Raum wie Deutschland und insbesondere NRW den Gewässern ausreichend Raum gegeben werden kann, um den guten Zustand zu erreichen. Und welche Nutzungen wir dafür wie zurückdrängen wollen – und wo wir das nicht wollen! Das müssen wir als Gesellschaft entscheiden. Ansonsten ist das alles nur scheinheilig und wir kommen nicht vom Fleck. Ich persönlich hätte z. B. gut damit leben können, wenn man es im Emschersystem „eine Nummer kleiner“ gemacht hätte und dafür vielleicht eine der vielen Milliarden in die Fläche gesteckt hätte. Und dann frage ich mich manchmal, warum wir eigentlich hier bei uns zig Millionen ausgeben, um aus „ganz schlechten“ Gewässern „nicht ganz so schlechte“ zu machen, während wir in anderen Regionen Europas, z.B. auf dem Balkan die letzten natürlichen Gewässer einfach nur durch Nichtstun erhalten könnten. Stattdessen werden dort irrsinnige Staudammprojekte vorangetrieben, so dass es bald in Europa gar kein echtes natürliches Gewässer mehr gibt. Die WRRL fordert ja ausdrücklich auch ökonomisch effiziente Lösungen. Und da muss man schon fragen, ob die Emscher-Milliarden wirklich für die effizienteste Art der Gewässerentwicklung ausgeben wurden …

Warum gibt es eigentlich so viele Büros und Institutionen in NRW, die sich anwendungsorientiert mit der Fließgewässerökologie beschäftigen? Neuerdings ist ja auch die Deutsche Gesellschaft für Limnologie in Essen ansässig, die Emschergenossenschaft ist ein überregional wahrgenommener Akteur. Hat es mit der hiesigen Problemdichte zu tun?

Wir haben mit der Uni Duisburg-Essen einen extrem wichtigen Forschungsstandort in der Gewässerökologie, der ist ja meiner Erinnerung nach entstanden, weil man in Essen in den 1980ern relevante Institute für den Strukturwandel im Ruhrgebiet schaffen wollte und da war klar, dass Wasser eine wichtige Rolle im Ruhrgebiet spielt. Aber auch die Hochschulen in Bonn, Köln, Bochum oder Münster haben in ihren Biologie- und Geographieinstituten hochkarätige Gewässerforscher*innen. Das strahlt sicher aus. Gleichzeitig haben wir eine nicht nur im Ruhrgebiet eine durch die Industrialisierung und den Bergbau bedingte hohe Dichte an wasserwirtschaftlichen und gewässerökologischen Problemen. Denken wir z. B. an die Erft oder die „andere“ Rur. Also ist auch die „klassische“ Wasserbau- und Wasserwirtschaftsforschung in NRW gut verankert, wenn wir z. B. an die RWTH Aachen oder die Uni Siegen denken. Und die haben auch viele Büros als Ausgründungen produziert. Aber wir dürfen uns in NRW auch nicht überschätzen. Aufgrund der Teilnahme meines Büros an nationalen Ausschreibungen sehe ich auch, dass es in ganz Deutschland viele richtig gute Büros und Forschungseinrichtungen gibt, die aufgrund ihrer anderen Hochschulhintergründe (z. B. Uni Freiburg, Uni Dresden, TU Berlin etc.) zum Teil auch konzeptionell andere Blickrichtungen auf „Wasserprobleme“ haben. Hier können wir auch viel lernen.

Zuletzt: Du wohnst in Essen und fährst mit dem Rad längs des Deilbaches ins Büro nach Velbert. Was hältst du von der großen Umbaumaßnahme am Deilbach, die im Sommer beginnt?

Ich bin total gespannt. Der Wahnsinn war ja aus meiner Sicht, dass es mehr als 30 Jahre gedauert hat, bis dieses kleine Stück Radweg endlich fertig war. Da waren die Amerikaner ja schneller auf dem Mond! Umso wichtiger ist es, dass dieses landschaftliche Kleinod entwickelt wird. Ich denke, wenn man es geschickt anstellt, kann das Deilbachtal ein wichtiger „Schaufenster“ für gelungene Gewässerentwicklung werden. Das ist super für alle, die da täglich durchradeln, und es kann außerdem ein weiteres touristisches Highlight dieses Gebietes werden. Die attraktive Anbindung an die S-Bahn-Stationen in Kupferdreh und Velbert-Nierenhof müsste es doch eigentlich ermöglichen, dass man hier verträglichen Wochenend-Tourismus wachsen lässt – vielleicht mit Fahrrad- oder E-Bike-Verleih, eine entsprechende Station ist in Kupferdreh ja schon vorhanden – die müsste nur ausgebaut werden. Kurz gesagt: Ich freue mich darauf.