BUND-Kreisgruppe Essen

Interview mit Cornelia Fitger

„Wald in Essen“

 (Martin Kaiser)

BUND / Kreisgruppe Essen: Liebe Cornelia, Du bist seit langer Zeit für den Umweltschutz tätig, Mitglied des Vorstandes unserer BUND - Kreisgruppe und seit 25 Jahren in der AG „Wald“ tätig. Wie groß ist Eure Gruppe, wie seid Ihr organisiert und was waren in der Vergangenheit Eure wichtigsten Themen? Und: wie bringt sich eure AG Wald mit Ihren Ergebnissen in Stadtgesellschaft und kommunale Politik ein?

Wir sind z. Z. drei Mitglieder – waren schon mal viel mehr in den ersten Jahren seit 1982. Ich bin erst später dazu gekommen. Aber die Aktiven von damals sind z.T. leider weggezogen. Wir treffen uns ad hoc, wenn „Waldbezogenes“ anliegt, zu dem wir meinen, etwas sagen oder tun zu müssen. Das sind meist Waldfragen im Beirat bei der Unteren Naturschutzbehörde (UNB), wenn z. B. wieder Wald irgendwo wegfallen soll, oder auch bei Bürgeranfragen. Dann hinterfragen wir hartnäckig die Möglichkeiten der Eingriffsvermeidung und ggfls. die erforderlichen Ersatzmaßnahmen.

Die wichtigsten Themen sind die Stellungnahmen zu den für zehn Jahre aufgestellten Forstbetriebsplänen und zu den jährlichen Waldwirtschaftsplänen. Die werden im Beirat vorgestellt und meistens gibt es dazu eine kleine Arbeitsgruppe, die sich über den – meistens von mir vorgeschlagenen - Entwurfstext abstimmt. Das ist dann die Stellungnahme des Beirats, die an den AUVG (Ausschuss für Umwelt, Verbraucher und Gesundheit) geht und später im Sitzungsprotokoll veröffentlicht wird.

Unser Bemühen ist, so viel Naturnähe wie möglich in die Bewirtschaftung zu bekommen, d. h. die Ökologie unserer heimischen Waldgesellschaften als Maßstab zu nehmen.

2015 hatten wir gut zu tun: Grün & Gruga (GGE) hatte nach den schlimmen „Ela-Folgen“ zur Bürgerbeteiligung an der Neuplanung in Workshops und Exkursionen eingeladen. Leider bekam nach meiner Meinung der Naturschutz viel zu wenig Gewicht. Daraus ist dann unser POSITIONSPAPIER entstanden – das im Wesentlichen noch heute unsere Einstellung widergibt. Ich vertrete den BUND im Arbeitskreis „Wald-Natur-Freiraum“, der von GGE ein- oder zweimal im Jahr abgehalten wird und den Vertretern verschiedener Nutzergruppen Informationen und Diskussionsmöglichkeit mit den Förstern bietet. (Leider werden wir Naturschützer meist undifferenziert auch zu den Nutzern gezählt!). Ziemlich regelmäßig (wenn ich den Termin rechtzeitig erfahre bzw. eingeladen werde) nehme ich als "Stakeholder" an den jährlichen Zertifizierungen für FSC teil. Dass Essen sich zertifizieren lässt, ist auch Ergebnis unserer hartnäckigen Forderungen. Bei den Begehungen selbst ist offiziell kein Einfluss möglich. Aber es können vorweg Wünsche geäußert werden und man erfährt etwas von den Beurteilungen der Zertifizierer. Das ist interessant zum Vergleich mit späteren Umsetzungen.

Zweimal waren wir zu einer Diskussionsrunde mit Studenten der Göttinger „Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst“ eingeladen, die neben der Förstermentalität auch die der Naturschützer kennenlernen wollten. Fazit seitens der Studenten: „… das sind ja sachkundige und zugängliche Menschen … mit denen ein konstruktiver Austausch möglich ist… Die waren alle sehr nett …“ und ähnliches. Verständigung ist also möglich! Bei öffentlich diskutierten Essener Waldproblemen gibt es gelegentlich Nachfragen und Interviews durch die Presse, auch schon einmal einen kleinen Auftritt im Essener TV (nach „Ela“). Anfragen aus der Bevölkerung zu Wald und Bäumen werden nach bestem Wissen beantwortet – gelegentlich nach vorheriger Nachfrage bei der Forstverwaltung.

Wir schreiben Leserbriefe oder offene Briefe an öffentliche Stellen wie z.B. gegen das wilde Mountainbike-Fahren durch geschützte Waldbereiche. Das wurde auch im Regionalforstamt weiterverfolgt, blieb aber ebenso wie eine Strafanzeige nach der Fällung eines Naturdenkmals ohne juristische Folgen. Ist frustrierend, lohnt sich nicht!

Es gab eine aufwändig mit den hiesigen Förstern und dem Regionalforstamt Ruhrgebiet vorbereitete Fachtagung zum „Urbanen Wald“, die leider durch höhere (politische oder Verwaltungs-) Mächte verhindert wurde. Eine Informationsveranstaltung mit Knut Sturm, dem überregional angesehenen Lübecker Forstmann, dessen „Lübecker Modell“ belegt, dass man mit weniger intensiven Eingriffen gut wirtschaften kann, haben wir durchführen können und damit unsere seit Jahren gestellte Forderung nach Reduzierung forstlicher Eingriffe zugunsten von Naturnähe von einem externen Fachmann untermauern können (leider mit extrem geringer Resonanz seitens der geladenen Politiker und Verwaltungspersonen).-

Zum Entwurf des neuen Regionalplans Ruhrgebiet habe ich für Essen im Kapitel „Wald“ Ergänzungen geschrieben.

Kürzlich wurde ich aufgefordert, bei „Parents for Future“ unsere Positionen zu aktuellen Baumfällungen durch die Stadt darzustellen. Dabei ging es aber im Wesentlichen um Straßenbäume und innerstädtische Grünflächen. Das muss man von Waldfragen getrennt halten.

BUND/ KGE: Die extrem niederschlagsarmen Jahre 2017 und 2018 mit ihren Folgen sind dramatisch und unter dem Begriff „Waldsterben 2.0“ auch einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Wie geht es in diesem Kontext dem Essener Wald?

Auch die Essener Wälder (Gesamtfläche: ca. 1.700 ha) haben stark unter der Hitze und Trockenheit der letzten beiden Jahre gelitten, was sich durch Rindenschäden, Borkenkäferbefall und Absterben bemerkbar macht. Konkrete Zahlen in Flächenanteilen oder Anzahl abgestorbener Bäume gibt es z.Zt. nicht, da wir nicht wissen, ob dieser Prozess schon zum Stillstand gekommen ist. Bezogen auf das ganze Ruhrgebiet wurde 1/3 des Buchenbestandes, der häufigsten hier natürlich vorkommenden Art, von Förstern als abgestorben eingestuft.

Als Vorschädigung lässt sich zahlenmäßig in Essen nur das durch „Ela“ entstandene Totholz beziffern. Das waren 107.000 m³. Eine zusätzliche Belastung entstand da, wo es abgeräumt wurde und somit auch die positive Wirkung des Totholzes verringert wurde. Aber Bodenschäden durch langjährige Schadstoffeinträge und vor allem massive Bodenverdichtung durch aktive Abgrabungen, Aufschüttungen und Wurzelschäden von querfeldein fahrenden Radfahrern gehören zu den Grundbelastungen ebenso wie die viel zu hohe Anzahl von Wegen samt Trampelpfaden.

BUND/ KGE: Der Wald soll für uns ja dreierlei erfüllen: Er ist Erholungsort, Holzlieferant und erfüllt vielfältige Ökosystemleistungen (CO2-Senke, Wasserspeicher, Artenschutz, Erosionsschutz). Wie sieht die Gewichtung hier im Essener Stadtwald aus und ist sie aus aktueller Sicht nicht zu Gunsten der Ökosystemleistungen zu verschieben?

Die „Ökosystemleistungen“ (für Klima, Boden und Wasser) sind wohl nicht nur anthropozentrisch zu sehen, sondern ganz übergeordnet, auch für den Artenschutz. In Essen, das mit nur 20 % seiner Fläche dem Wald dient, und deshalb offiziell als „waldarm“ eingestuft ist, ist der Erholungsdruck aufgrund der Bevölkerungsdichte und des sehr unsensiblen Verhaltens großer Bevölkerungsteile extrem hoch! Nicht stille Erholung, sondern Sportgelände, autofreie Piste für Radfahrer, Abenteuerspielplatz für Kinder, Auslauf für freilaufende Hunde u.a. liegen hier in der Gewichtung vorne und mindern die Ökosystemleistungen erheblich.

BUND/ KGE: Was sind Deiner Meinung nach die vorrangigen Maßnahmen, die hier in Essen in der jetzigen Situation umgesetzt werden sollten?

Der Wald muss ganz allgemein beruhigt werden! Zur Wahrung der Ökosystemleistungen müsste er vor den genannten Nutzungen wirksam geschützt werden, was aber vor allem durch Einsicht und kaum durch Kontrolle erreicht werden könnte – und deshalb wohl Utopie bleibt. Zwei generelle Entwicklungen müssen nach meiner Meinung gefördert werden:

Erstens sollte ganz dringend ein System zur wirtschaftlichen Bewertung der Ökosystemleistungen von Wäldern und Bäumen allgemein weiterentwickelt und entsprechend eingesetzt werden. Die Überlegungen dazu sind jahrzehntealt, werden aber nicht realisiert, weil man meint, sie sich nicht leisten zu können! Es ist dringender denn je! Der finanzielle Gewinn aus der Holznutzung beherrscht noch zu stark die Wertschätzung von Wald.

Zweitens müssen auch in Essen Möglichkeiten zur Waldvermehrung geprüft werden, wie Flächen mit aufgegebener Nutzung. Das hieße: Abriss nicht mehr genutzter Gebäude, Entsiegelung aufgegebener Sportplätze – vor allem Tennisplätze werden offenbar deutlich weniger gebraucht. Auch nicht mehr benötigte Friedhofsflächen könnten in Teilen bewaldet werden. Ganz obenan steht die weitere Reduzierung des Wegenetzes, damit die Verkehrssicherungspflicht weniger wird; Werbung um Verständnis in der Bevölkerung. Wir haben die für uns wichtigsten Punkte im besagten Positionspapier zusammengefasst.

Unsere langjährigen Forderungen „Lasst mehr Bäume älter werden“ und „Vergrößert den Anteil nicht bewirtschafteter Waldflächen“ haben Eingang in den neuen Forstbetriebsplan gefunden und wir erwarten, dass sie als Maßnahmen umgesetzt werden (vgl. auch Stellungnahme für den Beirat zum Forstbetriebsplan).

BUND/ KGE: Der Anteil der Waldflächen in Deutschland steigt seit Jahren beständig. Ist es unter dem Gesichtspunkt der Artenvielfalt nicht bedeutend, auch Freiflächen mit ihrem großen Artenreichtum nicht zu vernachlässigen? Gibt es diese auch auf Essener Stadtgebiet ausreichend?

Der Schutz der Offenlandarten ist ohne Zweifel eine dringende Aufgabe. In Essen wird grundsätzlich vermieden, Aufforstung als Ausgleichsmaßnahme auf Landwirtschaftsflächen zu planen. Tatsächlich ist die Essener Waldfläche in den letzten vierzig Jahren um ca. 800 ha gewachsen. Das waren zu großen Teilen Flächen von Halden und Deponien. Tatsache ist aber auch, dass durch intensive Landwirtschaft z.B. viele Vögel, die ich noch als normale Wiesenbewohner kenne, alleine in der Zeit seit ich in Essen lebe, verschwunden bzw. sehr selten geworden sind. Die Abwägung zwischen Förderung der jeweiligen Artengruppen ist nicht allgemein zu treffen, sondern muss je nach räumlichem Zusammenhang erfolgen. Es gibt da zweifellos Konfliktsituationen. An dieser Stelle möchte ich aber auch nochmal betonen, dass es zwar generell gilt, dem immer schneller voranschreitenden Artenschwund entgegen zu wirken, aber Vorsicht vor undifferenzierter Forderung nach Vielfalt! Es geht um die für bestimmte Waldökosysteme typische Vielfalt – nicht um eine künstlich herbeigeführte, die unter Umständen die natürliche Entwicklung sogar behindert. Deshalb auch Vorsicht bezüglich der Einführung gebietsfremder Baumarten unter der Annahme, sie hielten Hitze und Trockenheit besser stand.

BUND/ KGE: Wer kümmert sich in Essen eigentlich um unseren Wald? Neben den pflegenden Förstern müssen doch auch viele (struktur-) politischen Entscheidungen getroffen, umgesetzt und überwacht werden?

Um den Essener Stadtwald „kümmert“ sich natürlich in erster Linie die Forstverwaltung. Bei Fragen zum Arten- und Naturschutz wird die Naturschutzbehörde beteiligt, in gravierenden Fällen auch der Beirat. Die Einhaltung rechtlicher Vorgaben überwacht die Forstbehörde in Gelsenkirchen. Politische Planungshoheit und grundsätzliche Entscheidungsbefugnisse liegen beim Stadtrat, der aber die Vorgaben der Regional- und Landesplanung beachten muss. Um die Privatwälder kümmern sich die Eigentümer.

BUND/ KGE: Du hattest das von der Kreisgruppe durchgeführte Forum zum Lübecker Modell bereits angesprochen. Leider war die Teilnehmerzahl doch sehr gering und ihr als Ausrichter sehr frustriert. Wie seid ihr mit eurem Frust umgegangen und was waren die Lehren für Euch für zukünftige Veranstaltungen?

Da wir aus einer Informationsveranstaltung keinen „netten Abend mit Wein und Häppchen“ (wie uns später geraten wurde!) machen wollen und nun schon die zweite Info-Veranstaltung (s. Pkt. 2) nicht erfolglos, aber weit unter dem erwünschten Erfolg blieb, lassen wir es erstmal!

BUND/ KGE: Vorausgesetzt wir schaffen es mit unseren Initiativen mehr aktive Mitglieder zu werden: Wäre eine Unterstützung z.B. durch eine Arbeitsgemeinschaft „Veranstaltungsorganisation“ in der BUND-Kreisgruppe sinnvoll?

Meine Antwort: Ja!

BUND/ KGE: Was können wir selbst als Bewohner dieser Stadt für unseren Wald tun?

Dazu habe ich z.T. schon unter Pkt. 5 etwas gesagt. Waldschutz durch uns Bürger bedeutet ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Zurückhaltung. Über die Nutzung von Holz als Brennstoff und als Produktionsmaterial gehen die Meinungen auseinander. Bäume als CO2-Speicher sind unverzichtbar. Bei jeder Art von „Endverwertung“ geben sie jedoch - genau wie Kohle, Erdöl und Gas - das gespeicherte CO2 wieder ab, nur eben nicht in so kurzer Zeit in so gewaltigen Mengen. Deshalb Holznutzung nur in kontrollierten Mengen und aus schonender, naturnaher Bewirtschaftung!

BUND/ KGE: Das Thema Stadtbäume und Wald ist in Essen - und nicht nur hier - hoch emotional. Es gibt viele Menschen, die sich inzwischen dazu in verschiedenen Initiativen zu Wort melden? Wo siehst Du Gemeinsamkeiten und wo eventuelle Unterschiede in der Argumentation?

Um unsere Wälder am Leben zu halten, ist emotionales Engagement an sich nicht schädlich. Aber allein genügt es nicht! Es muss frei von Eigeninteressen, dafür aber von Fachkenntnis getragen sein. Meine Formulierung für den Bürger-Workshop 2015 „Wieviel Nutzung verträgt der Wald ohne Schaden zu nehmen?“ wurde in den neuen Forstbetriebsplan aufgenommen und sollte immer wieder als (selbst-) kritische Frage gestellt werden.